Ein Kommentar von Christian Geyer - Aktualisiert am 26.07.2023 -15:08

Die Besetzung des Diskursraumes durch die AfD: Alexander Gauland hat den Finger am Abzug – und macht Beute auch aus dem Hinterhalt.

Es ist nun bald sechs Jahre her, dass Alexander Gauland nach dem Einzug der AfD in den Bundestag ankündigte: „Wir werden sie jagen. Wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen.“ Was die öffentliche Kommunikation angeht, hat sich Gaulands Ankündigung insofern erfüllt, als sich jede Wortmeldung inzwischen vor der AfD auszuweisen hat: Sagt da jemand etwas, was auch eine Position dieser Partei sein könnte – und sich allein deshalb schon unmöglich macht?

Wer auch immer sich zu den Gejagten der AfD rechnet und nicht zu deren Anhängern, steht vor der Dauerherausforderung sprachlicher Selbstreinigung, um nicht bei nächstbester Gelegenheit falsch zugerechnet zu werden. Es ist wie ein Sprechen auf der Flucht: Gauland hat den Finger am Abzug und macht Beute auch aus dem Hinterhalt. Die Anwesenheit des Abwesenden erreicht Dimensionen, die sich mit den Prozentzahlen der Wahlprognosen nicht messen lassen; sie durchdringt den kollektivpsychischen Apparat wie durch Osmose. Nur kommunikative Paradiesvögel wie Martin Mosebach können davon unbeeindruckt bleiben: „Ich weigere mich, an den Hysterien der deutschen Öffentlichkeit teilzunehmen“, so der Schriftsteller neulich im Gespräch mit der „Neuen Zürcher Zeitung“.

Erfolgsrezept: Einfach das Gegenteil von dem fordern, was man wirklich will

Andere haben wegen AfD-getriebener Inventur den Diskursraum vorübergehend geschlossen. So ist die Tatsache, dass Beatrix von Storch beim Thema Suizidhilfe Katechismus-Positionen bezieht („Anfang und Ende des Lebens liegen alleine in Gottes Hand“, hatte die AfD-Politikerin im Bundestag zu Protokoll gegeben), für katholische Ethikerinnen ein Anlass, die entsprechenden Katechismus-Passagen auszumustern. „Um sich als katholische Kirche nicht mit rechtsradikalen Positionierungen zu ,verschwistern‘, sehen wir es als Aufgabe von Lehramt und Theologie, einen seriösen Lebensschutz mit Gehalt zu füllen und eine klare Abgrenzung zur AfD vorzunehmen“, äußern die Professorinnen Kerstin Schlögl-Flierl und Kristina Kieslinger in „Christ in der Gegenwart“.

Angemahnt wird ein AfD-ferner, dialogischer Gott, der auch in Fragen von Leben und Tod mit den Menschen auf Augenhöhe kommuniziert und sich nicht aufführt wie ein „souveräner Patriarch, der über Leben und Tod herrscht“. So wird die AfD unter der Hand auch zum Reformbeschleuniger einer Theologie, die es ablehnt, sich mit ihren traditionsgemäß begründeten Positionen in der Hand von Beatrix von Storch wiederzufinden.

Der Verfolgungswahn macht die Lage auf paradoxe Weise übersichtlich: Die AfD bräuchte in ihrem Jagdrevier künftig nur stets das Gegenteil von dem zu verlautbaren, was sie im Himmel und auf der Erde tatsächlich erreichen möchte. Der Zuspruch einer derart hereingelegten Öffentlichkeit wäre ihr sicher.