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Mitte Dezember veröffentlichte die schwedische Antifa gehackte Daten des Neonazi-Onlineshops „Midgård“. In den über 17.000 Datensätzen finden sich auch 86 Namen aus Mecklenburg-Vorpommern. Einer von ihnen: der ehemalige NPD-Politiker Christian Hilse, der in den vergangenen Monaten als Mitorganisator des Lassaner Parkfests und der Festschrift zum Stadtjubiläum Aufmerksamkeit erregte. Sein Fall zeigt nicht nur, dass es häufig an Abgrenzung nach rechts fehlt, sondern auch, wie weit rechtsextreme Strukturen im Land bereits etabliert sind.
Nachdem der rechtsextreme schwedische Onlineshop Midgård, der neben Neonazi-Musik auch entsprechendes Merchandise vertreibt, bereits 2017 gehackt wurde, sind unlängst erneut Daten von Kund:innen an die Öffentlichkeit gelangt. Bis ins kleinste Detail können Namen, Kontaktinformationen und bestellte Waren auf einer eigens von der schwedischen Antifa angelegten Website nachverfolgt werden. Die Daten reichen von 2022 zurück bis ins Jahr 2017. Die Bestellenden kamen dabei aus der ganzen Welt. Auch aus Deutschland und Mecklenburg-Vorpommern.
86 Namen von Rostock bis Neubrandenburg, Abtshagen (Vorpommern-Rügen) bis Gantenbeck (Nordwestmecklenburg) ergeben sich aus dem Leak, über das die betreffenden Personen laut schwedischer Antifa von Midgård nicht informiert wurden. Auch 2017 habe Midgård seine Kund:innen nicht auf die Sicherheitslücke hingewiesen, schreibt die Antifa auf Nachfrage. Dabei waren auch damals Daten mehrerer Jahre öffentlich geworden. Das Leak wirft einerseits die Frage nach dem Geschäftsgebaren der Seitenbetreibenden auf, liefert auf der anderen Seite jedoch auch Einblicke in die rechtsextreme Szene.
Ein Name fällt bei den Bestellungen aus MV sofort ins Auge: Christian Hilse. Insgesamt neunmal zwischen 2018 und 2021 bestellte der ehemalige NPD-Stadtvertreter und -Kreistagsabgeordnete laut dem Register im Nazi-Onlineshop. Wie die Produktdaten verraten, umfasst Hilses Musikgeschmack rechtsextreme Gruppen wie die verbotene Band Landser oder Die Lunikoff Verschwörung – letztere ein Nachfolgeprojekt des ehemaligen Landser-Sängers Michael Regener. Die Rechtsrock-Band Stahlgewitter ist ebenso zu finden wie die britische neonazistische Gruppe Brutal Attack, die zu den Gründungsmitgliedern des Blood & Honour-Netzwerks zählen soll.
Ebenfalls interessant: Unter den Bestellenden war auch Robert L. Bei ihm in Zempin fand erst Mitte September eine Durchsuchung im Zuge der Razzien gegen Mitglieder der mittlerweile verbotenen Neonazi-Gruppierung Hammerskins statt.
Dass Hilses Name im Kontext eines rechtsextremen Onlineshops auftaucht, verwundert schon allein vor dem Hintergrund seiner politischen Vergangenheit in der NPD nicht. Es untermauert darüber hinaus jedoch die Hinweise auf seine seit Jahren bestehenden Beziehungen in die rechtsextreme Szene. So wurde Hilse zum Beispiel 2014 auf einem „Heldenmarsch“ in der ungarischen Hauptstadt Budapest, der dem Kampf der ungarischen Armee und der SS gegen die Rote Armee gewidmet war, fotografiert. Der Marsch wurde von Blood & Honour-Aktivisten mitveranstaltet. Dabei hält Hilse ein Plakat, welches unter anderem auf die rechtsradikale Kameradschaft und Internetplattform „Freies Pommern“ hinweist. Im Zusammenhang mit der Gruppe fiel Hilses Name auch 2015, als in Heringsdorf auf Usedom rechtsradikale Plakate mit Bezug zum Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß auftauchten. Darüber hinaus war er der verantwortliche Redakteur des rechten Blattes Der Lassaner Bote.
Es ist davon auszugehen, dass Hilse mindestens zu seiner Zeit als NPD-Kandidat für den Landkreis Ostvorpommern bei der Kommunalwahl 2009 auch Kontakt zu Alexander Wendt, Enrico Hamisch und Enriko Pflugradt pflegte. Wendt war im NPD-Landesvorstand. Er ist nicht nur Betreiber eines Handwerkerportals im Netz, das neben Pflugradt und ihm selbst auch für den Jameler Neonazis und Hammerskin Sven Krüger wirbt, sondern ist neben seiner Mitgliedschaft im rechtsextremen Kameradschaftsbund Anklam (KBA) auch – gemeinsam mit Hamisch – Inhaber des Neonazi-Objekts „Haus Jugendstil“ in Anklam. Laut Impressum der gleichnamigen Seite ist dort auch der von Hamisch betriebene Pommersche Buchdienst ansässig. Im Sortiment finden sich neben einer Eva-Braun-Biografie beispielsweise ein nicht mehr lieferbarer Werkkatalog zu „Adolf Hitler als Maler und Zeichner“. Hamisch ist zudem im Landesvorstand der Heimat (ehemals NPD), deren Landesverband ihren Sitz ebenfalls im „Haus Jugendstil“ hat. Dass er mutmaßlich Kontakte zu Blood & Honour hatte beziehungsweise selbst Aktivist gewesen ist, darauf deuten Berichte und Razzien hin. Pflugradt wiederum teilte auf seiner Facebook-Seite in jüngster Vergangenheit mehrfach Beiträge von Sven Krüger. Im Oktober etwa ein Foto mit T-Shirt und der Aufschrift „Wir waren schon rechts bevor es cool wurde“.
Auf dem Firmengelände von Wendt in Salchow, einem Ortsteil von Klein Bünzow nahe Anklam, steht darüber hinaus eine Scheune, die nicht nur als Veranstaltungsort von Neonazi-Konzerten bereits Schlagzeilen machte. Dort wurde nach Recherchen des Antifaschistischen Infoblatts möglicherweise auch das Kürzel des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zeitweilig auf Plakaten beworben. Vom sogenannten Nationalen Wohnprojekt, das unter anderem Wendt bewohnen und vom Besitzer des rechtsextremen Szenegeschäftes New Dawn in Anklam, Markus Thielke, gegründet worden sein soll, einmal ganz abgesehen.
Hilse selbst war wie Wendt oder Pflugradt ebenfalls Handwerker. Doch hat er sich mittlerweile anderen Beschäftigungen zugewandt. So ist er unter anderem als inhaltlich Verantwortlicher eines Onlineshops für lokalpatriotische Kleidung und Accessoires aufgeführt, besitzt darüber hinaus jedoch auch ein eigenes Unternehmen für Mediengestaltung. Letzteres ist beispielsweise verantwortlich für zahlreiche Internetauftritte. Darunter die des Fußballvereins VSV Lassan, dessen Fanartikel wiederum in Hilses Bekleidungsshop erhältlich sind. Oder auch die der in diesem Jahr neu gegründeten Naturschule FreiraumBildung in Mölschow auf Usedom und des sie tragenden Vereins. Die Website des Handwerkers Alexander Wendt wurde ebenfalls von Hilses Firma umgesetzt. Hilses Firma Waterkant wird dort sogar unter „Kunden & Partner“ geführt.
Dass Hilses augenscheinlich rechtsextreme Gesinnung trotz zahlreicher Hinweise und Berichte manchen noch immer ein Geheimnis zu sein scheint, ist schwer nachvollziehbar. In den vergangenen Monaten gab es mindestens zwei Ereignisse, die Fragen aufwerfen. So zeichnete Hilse mitverantwortlich für die Organisation des ersten Lassaner Parkfestes Mitte September. Die Berichterstattung der Ostsee-Zeitung darüber kam zuerst ohne jeden Hintergrund aus. Vielmehr blieb es beim Lob für die Organisation der Veranstaltung und einer entsprechenden Bildergalerie. Dabei tauchte nicht nur Hilses Name im Artikel mehrfach auf, auch die musikalische Untermalung des Abends durch die Band Biertrinkaz war hinlänglich bekannt. Diese wird ebenfalls als rechte Gruppe eingeordnet. Im Vorfeld des Konzerts hatte der Staatsschutz sogar zwei Titel untersagt. Mitglieder der Biertrinkaz sollen außerdem in der als rechtsextrem geltenden Band Skalinger aus Wolgast gespielt haben, die bereits im Verfassungsschutzbericht des Landes erwähnt wurde.
Erst eine Woche nach der Veranstaltung brachte die OZ einen entsprechenden Nachbericht. In einem Satz erfolgte eine Einordnung Hilses. Auch dass das Konzert der Biertrinkaz zum Szenekonzert mit 250 Rechtsextremen wurde, was im Nachhinein wenig überraschend scheint, wurde erwähnt.
Dass die OZ dabei auch den Lassaner Bürgermeister konfrontierte, ist nachvollziehbar. Was hingegen Fragen aufwirft, ist die Entstehung einer Festschrift zum Lassaner Stadtjubiläum, in der sich nicht nur Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) und Vorpommern-Greifswalds Landrat Michael Sack (CDU) mit einem Grußwort beteiligten, sondern auch ebenjener Bürgermeister für einen Beitrag von OZ und Nordkurier gemeinsam mit dem verantwortlichen Festkomitee posiert. Gleich neben ihm: Christian Hilse. Dieser sei Teil des Redaktionsteams der Festschrift gewesen, heißt es. Auch hier: Einordnung Fehlanzeige. Dass sich anschließend auch Schwesig und Sack kritische Fragen gefallen lassen mussten, ist eine logische Konsequenz. Ob sie den Namen Hilse beim nächsten Mal kennen, bleibt offen.